
1/3: Hat Adolf Hitler die Macht ergriffen?
Es fehlt in Deutschland an einer Erinnerungskultur, so sagen manche. Das möchte ich zum Anlass nehmen, mal zu erinnern. In einer Zeit, in der von den Extrem-Rechten versucht wird, das Bild von Adolf Hitler umzubauen, wird es Zeit, sich mal wieder mit ihm zu beschäftigen.
"Hat Adolf Hitler damals die Macht ergriffen oder wurde er demokratisch gewählt?“
Diese Frage ist von zentraler Bedeutung, wenn man die Umstände des Aufstiegs der Nationalsozialisten zur Macht verstehen will.
Heute möchte ich deshalb die historischen Ereignisse beleuchten, die zu Hitlers Ernennung zum Reichskanzler führten. Dabei werde ich insbesondere auf die Rolle von Reichspräsident Paul von Hindenburg (vor dessen Gruft ich schon öfter in Marburgs Elisabeth-Kirche gestanden habe) und des damaligen Vizekanzlers Franz von Papen eingehen. Es möge jeder seine eigenen Schlüsse daraus ziehen.
1. Die politische Situation der Weimarer Republik
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und der Gründung der Weimarer Republik im Jahr 1919 sah sich Deutschland mit erheblichen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Problemen konfrontiert. Die Reparationszahlungen des Versailler Vertrags, die Hyperinflation von 1923 und später die Weltwirtschaftskrise ab 1929 führten zu einer breiten Unzufriedenheit in der Bevölkerung. In diesem Klima fanden radikale Parteien, sowohl von links als auch von rechts, zunehmend Unterstützung.
Die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) unter Adolf Hitler nutzte diese Unzufriedenheit geschickt aus. Während sie bei der Reichstagswahl 1928 lediglich 2,6 % der Stimmen erhielt, konnte sie ihren Stimmenanteil bei der Wahl im Juli 1932 auf 37,3 % steigern und wurde damit die stärkste Partei im Reichstag.
2. Die Reichstagswahlen 1932 und die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler
Obwohl die NSDAP die stärkste Partei war, erreichte sie keine absolute Mehrheit. Das politische System der Weimarer Republik sah vor, dass der Reichspräsident den Reichskanzler ernennen musste. Der damalige Reichspräsident Paul von Hindenburg, ein konservativer Monarchist, stand der NSDAP und Adolf Hitler zunächst ablehnend gegenüber.
Nach der Wahl im Juli 1932 bemühte sich Hitler, von Hindenburg davon zu überzeugen, ihn zum Reichskanzler zu ernennen. Hindenburg lehnte dies jedoch ab und setzte stattdessen Franz von Papen, einen Politiker der Zentrumspartei, als Reichskanzler ein. Von Papen verfügte jedoch über keine stabile Mehrheit im Reichstag, sodass seine Regierung im November 1932 scheiterte.
Bei den folgenden Wahlen im November 1932 verlor die NSDAP leicht an Stimmen, blieb aber mit 33,1 % die stärkste Partei. Die politische Instabilität verschärfte sich, da es weiterhin keine regierungsfähige Mehrheit im Reichstag gab.
3. Der Weg zur Machtübertragung – Intrigen und Fehlkalkulationen
Franz von Papen und eine Gruppe konservativer Eliten spielten eine entscheidende Rolle bei der Ernennung Hitlers. Nachdem von Papen als Reichskanzler zurücktreten musste, unterstützte Hindenburg zunächst den ehemaligen General Kurt von Schleicher als neuen Reichskanzler. Doch auch dieser konnte keine stabile Regierung bilden und trat nach wenigen Wochen zurück.
Von Papen, der ehrgeizig blieb und weiterhin Einfluss behalten wollte, entwickelte daraufhin den Plan, Hitler als Reichskanzler einzusetzen, ihn jedoch mit einem Kabinett aus konservativen Ministern zu umgeben, um ihn zu kontrollieren. Er glaubte, dass Hitler in dieser Position leicht zu steuern wäre. Am 30. Januar 1933 überredete von Papen Hindenburg, Hitler zum Reichskanzler zu ernennen. Von Papen selbst wurde Vizekanzler.
4. War die Machtübertragung demokratisch?
An dieser Stelle stellt sich die zentrale Frage: War Hitlers Aufstieg demokratisch legitimiert?
Es stimmt, dass die NSDAP bei mehreren Wahlen zur stärksten Partei wurde und erhebliche Unterstützung in der Bevölkerung hatte. Allerdings bedeutete dies nicht, dass Hitler direkt von der Bevölkerung gewählt wurde. Die Ernennung zum Reichskanzler erfolgte auf der Grundlage der Weimarer Verfassung, die dem Reichspräsidenten die Macht verlieh, den Kanzler zu bestimmen. Somit war die Ernennung formal legal und verfassungsgemäß, jedoch nicht das Ergebnis einer direkten demokratischen Wahl. Aber es war die Folge davon.
Gleichzeitig spielte 1933 der Druck der Straße eine große Rolle. Die SA, die paramilitärische Organisation der NSDAP, sorgte für ein Klima der Angst und Gewalt. Der politische und gesellschaftliche Druck, den die Nationalsozialisten ausübten, trug wesentlich dazu bei, dass die konservativen Eliten Hitlers Ernennung schließlich zustimmten.
5. Die Folgen der Ernennung Hitlers
Nachdem Hitler zum Reichskanzler ernannt worden war, begann er sofort, die Weimarer Republik systematisch abzuschaffen. Am 27. Februar 1933 brannte der Reichstag, was den Nationalsozialisten als Vorwand diente, um die Grundrechte massiv einzuschränken. Mit der Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes am 23. März 1933 wurde Hitler faktisch zum Diktator, da er nun Gesetze ohne Zustimmung des Reichstags erlassen konnte. Das kam dann einer Machtergreifung gleich.
Von Papens Plan, Hitler zu kontrollieren, erwies sich schnell als fataler Irrtum. Innerhalb weniger Monate hatte Hitler die Macht vollständig übernommen und alle politischen Gegner ausgeschaltet.
Aber: Dass er das konnte, war das Ergebnis einer demokratischen Wahl und nicht eines Putsches oder einer Machtergreifung.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Adolf Hitler zwar nicht direkt von der Bevölkerung gewählt wurde, sein Aufstieg zur Macht aber formal legal und im Rahmen der Weimarer Verfassung erfolgte. Allerdings spielte der Druck der Straße sowie die Intrigen und Fehlkalkulationen konservativer Politiker wie von Papen und Hindenburg eine entscheidende Rolle.
Hitler ergriff die Macht nicht im Sinne eines gewaltsamen Staatsstreichs, sondern wurde durch eine Kombination aus politischem Opportunismus, Angst und Fehleinschätzungen in eine Machtposition gehoben, die er dann zur Errichtung seiner Diktatur nutzte. Mit allen Konsequenzen.
Ich schreibe das, weil es solange her ist. Wer aus der Geschichte nichts lernt, wird gezwungen sein, sie zu wiederholen.
Also: Wähler sei wachsam. Es könnte sonst extrem schiefgehen.