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Wie wir die Bibel putinisieren

In dieser verrückten Zeit hat Wladimir Putin am Freitag im großen Stadion in Moskau vor Zehntausenden Russen Jesus zitiert. Doch während wir sonst immer dankbar sind, wenn jede Art von A, B, oder C-Promis mal ein Bibelwort aufgreifen und wir gerne darüber sofort positiv berichten, blieb uns diesmal die Spucke weg. 

Putin und die Bibel? Und das während des Krieges? Von einem, der als Agitator des Krieges gegen die Ukraine momentan die Hass-Figur schlechthin ist? Was fällt dem ein? Dreist, unverschämt, unverfroren! Die Bibel für die eigenen Zwecke missbrauchen! 

 

Was hat Putin denn für seine zwangsverpflichteten zahlreichen Zuhörer ausgewählt? Ein Wort aus Johannes 15,13 war es und das war sogar passend für die vor uns liegende Passionszeit:

„Niemand hat größere Liebe als die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde“. 

 

Ein Spiegel für jeden von uns 

 

WOW! Eigentlich müssten wir tatsächlich Applaus klatschen, dass ein Staatsmann einer - wie auch immer noch dastehenden - Weltmacht die Bibel zitiert. Und dann noch zur Prime-Time!

Aber, es ist anders. Die fromme Welt ist empört. Die Kommentare der Frommen in den Sozialen Medien überschlagen sich. Wie kann er nur? Der alte Kriegs-Sack? WAS FÜR EINE UNVERFRORENHEIT!

 

Aber die Kritik sollten wir uns sehr gut überlegen. Was Putin gemacht hat, das können (und tun) wir schon lange. Gerade die Frömmsten haben es doch in den letzten zwei Jahren in fast schon inflationärer Art und Weise in den eigenen Kreisen und den Sozialen Medien getan: Ob das in Bezug auf Israel ist, ob es um die Endzeit geht, ob es für oder gegen eine Impfung in Corona-Zeiten geht: 

Wir alle „putinisieren“ Bibelverse, manchmal bewusst, manchmal ohne dass uns das bewusst ist. 

Das heißt: Wir verwenden sie gerne für die eigenen Zwecke. Oder: Um das eigene Handeln als richtig darzustellen, zu begründen oder zu rechtfertigen. 

 

Vorläufer oder Nachfolger?

 

Frechheit von mir, oder? Und bevor die schlichten Gemüter unter uns jetzt blutdruckgesteuert die falschen Schlüsse ziehen: 

Es geht mir hier nicht darum, Putin in irgendeiner Art und Weise zu verteidigen, schönzureden oder positiv zu erklären. (Am besten den Satz jetzt nochmal lesen!) 

 

Putin hat die Bibelstelle zwar richtig zitiert, aber komplett falsch verstanden. Denn sie hat mit Jesus selbst zu tun und nicht mit in den Krieg beorderten, jungen Menschen, die zur Befehlsbefolgung verpflichtet sind und in den Tod geschickt werden. 

Also: Wo „putinisieren“ wir Gottes Wort? Wir tun es, wenn wir nicht der Bibel folgen, sondern wenn die Bibel uns folgen soll. Unseren eigenen Wegen, unseren Gedanken, unserem Handeln. 

Wenn wir „Vorläufer“ statt „Nachfolger“ sind. Wenn wir uns selbst als Maßstab hinstellen, und unser Handeln dann mit Gottes Wort untermauern wollen. 

 

Die Bibel missbrauchen

 

Dass Putin die Bibel zitiert hat, ist natürlich nicht nur eine provozierende Frechheit, sondern er folgt einem Prinzip, dass allen „Unrecht-Habern“ zu eigen ist: 

Vor Gott wird nicht zurückgeschreckt, nein er wird eingebunden. 

Was heißt: Er wird instrumentalisiert. Im Dritten Reich war auf den Koppelschlössern der Deutschen Wehrmacht „Gott mit uns“ eingeprägt.

Ich schreibe gerade ein Buch über den Völkermord 1994 in Ruanda. Dort ist dasselbe passiert. Die jahrelangen Hass-Botschaften gegen die Tutsi wurden mit der Bibel und mit Gott begründet. Letztens kostete das beim Genozid 1994 innerhalb von 3 Monaten etwa 1 Million Menschen das Leben. 

Ich habe Berichte von Massenmördern gelesen, die den Verwandten der Opfer später ins Gesicht sagten: 

„Ihr seid Christen, Ihr müsst doch vergeben!“

 

Und nun Putin. Der amerikanische Aktivist und Christ Shane Claiborne hat das Jesus-Zitat von Putin treffend kommentiert: 

„Putin hat Jesus benutzt, um seine Gewalt zu rechtfertigen. Das ist nichts Neues. Aber es ist immer beleidigend. 

Die Wahrheit ist aber, dass wir für Christus sterben können, aber wir können nicht für ihn töten.“

 

Was wirklich bleibt

 

Ich möchte uns ein anderes Wort Jesu  ins Gedächtnis rufen: 

Jesus spricht: Himmel und Erde werden vergehen; aber meine Worte werden nicht vergehen. | Matthäus 24,35

Auf wen oder was kann ich mich verlassen? Was ist zuverlässig und gibt mir Halt, wenn nichts mehr hält? Was ändert sich nicht? 

Fragen, die mir besonders in Krisenzeiten immer wieder durch den Kopf gehen. Interessanterweise ist das Zitat aus Matthäus 24,35 ein Zitat aus der letzten Phase von Jesus auf dieser Erde. Ein Vers aus der sogenannten „Endzeitrede“. Ein Wort, dass uns darauf hinweist, was wirklich zählt. 

 

Jesus hat uns Worte gegeben, auf die wir uns verlassen können, weil er sich an sein Wort hält und es über Jahrtausende Menschen einen Halt gegeben hat, der über Tagespolitik hinaus geht. Himmel und Erde werden vergehen, aber das Wort Gottes bleibt. 

 

Zu Beginn des Johannesevangeliums wird das „Wort Gottes“ personifiziert: Jesus Christus. „Und das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns und wir sahen seine Herrlichkeit.“ (Joh 1,14) 

Jesus ist das Wort Gottes. An ihm und durch ihn wird der Wille Gottes für alle Menschen sichtbar und erfahrbar. Wer wissen möchte, wie Gott ist, der sollte Jesus anschauen und ihn kennenlernen. 

 

Wem sage ich das? Viele von uns haben es gelesen, einige von uns haben es sogar studiert. Wir haben es unzählige Male gepredigt und anderen gesagt. Wir haben anderen Menschen Mut gemacht, sie auf das „Ewige im Endlichen“ hingewiesen und ihnen Hoffnung gemacht. 

Gott traut uns zu, es weiter zu erzählen und weiter zu geben. Er legt damit sein Wort in unsere Hände. Für mich geht damit eine große Verantwortung einher, es so weiterzugeben, wie er es gemeint hat. Dazu muss ich es aber erstmal selbst verstehen! 

 

Und dabei verbietet es sich meiner Meinung nach, zu „putinisieren“.