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Überraschend andere Antworten eines Theologen

N.T. Wright über die Corona-Krise und Gott

 

Für die einen ist sie die Strafe für die Sünde der Menschheit. Für andere wiederum die beste Gelegenheit zu evangelisieren. Wieder andere sehen die Apokalypse aufziehen und andere zählen die Zeichen der Endzeit im Minutentakt und wissen genau, wohin es geht. Und die Theologen? Die waren in der Corona-Pandemie bisher auffallend schweigsam. N.T. Wright ändert das jetzt. Dabei kommt er zu unerwarteten, überraschenden Ergebnissen und Aussagen. Und zu kleinen Enttäuschungen für Endzeit-Propheten und Missions-Eiferer. Aber lies selbst:

Vorgestellt von Steve Volke

 

Wer hat´s geschrieben:

 

Nicholas Thomas Wright besser bekannt als N. T. Wright oder Tom Wright, ist einer der bekanntesten und führenden europäischen Theologen. Er war Professor für Neues Testament und frühe Christenheit an der University of St Andrews, anglikanischer emeritierter Bischof von Durham (England). Seit 2019 arbeitet er als Senior Research Fellow an der University of Oxford. Er hat über 80 Bücher veröffentlicht, unter anderem auch eine Jesus-Biographie. „Wright distanziert sich deutlich von der liberalen Theologie, schockiert aber auch Evangelikale durch historische Ansätze oder durch Thesen, die liebgewordene Überzeugungen und Konzepte in Frage stellen“, weiß Wikipedia über ihn zu berichten. Das vorliegende Werk „God and the Pandemic“ ist im April 2020 veröffentlich worden. Gewidmet dem ehemaligen Bishop of Coventry, der am 11. April 2020 an Covid-19 gestorben ist.

 

Worum geht´s?

 

Um die theologische Einordnung der Pandemie. Am Anfang des Buches zeigt Wright direkt die Spannbreite auf: Ist Corona die Strafe Gottes für eine (immer noch) sündige Welt? Sollen Christen die Situation (aus)nutzen, um zu evangelisieren? Wer ist schuld an Corona? Was ist schiefgelaufen und was will Gott den Menschen durch die Pandemie-Krise eigentlich sagen?

 

Und wie isses?

 

Wright wäre nicht der Theologe, der er ist, wenn er sich bei diesen Themen mit einfachen Antworten zufriedengäbe. Wer Antworten in der Kategorie „Ja, so ist es! Basta!“ erwartet, kann sich die Lektüre gleich sparen. Er erhält sie nämlich nicht. Stattdessen bringt N.T. Wright tiefgehende Theologie, die dort ansetzt, wo sich Gott befindet. Daher beginnt er im Alten Testament und zeigt, wie Gott damals gehandelt hat. Hängen bleibt er bei den Klageliedern und bei den Psalmen. Letztere waren durchaus nicht nur Loblieder und Worship Hoch4, sondern haben den Schmerz des Lebens zur Sprache gebracht. Bis hin zu dem Eindruck, von Gott vergessen worden zu sein.

 

Kapitel 3 zeigt wie das Neue Testament mit Leid und Schmerz umgegangen ist. Und mit Schuld. Paradebeispiel ist die Situation, wo in Johannes 9, 1-3 von einem Menschen berichtet, der blind geboren war. Die Frage der Jünger ist die Frage der schuldbewussten Corona-Durchleber: „Wer hat gesündigt? War er es selbst, die Eltern oder wer?“ – Die Antwort Jesu zielt auf die Zukunft und nicht in die Vergangenheit: Ein Wunder soll geschehen, die Werke Gottes sollen offenbar werden.“

 

Also Evangelisieren und die Größe Gottes in der Pandemie verkünden? Nicht laut N.T. Wright. Denn der ist noch bei den Klageliedern und beim Vater Unser. Und bei der Auslegung von Römer 8. Mit dem Ergebnis, dass er empfiehlt, Christen sollen diese Zeit nutzen, um zu beten und mit den anderen und der gesamten Schöpfung mitzuleiden. PENG! Wer will das schon? Weder das eine noch das andere! Wir wollen schnelle Lösungen und keine Wartezeiten. Gerade in diesem Punkt mutet Wright seinen Lesern einiges zu und verlangt etwas, was mir zumindest schwerfällt: Geduld haben.

 

Aber wie sollen wir das Wesen Gottes tiefer verstehen, wenn wir direkt in frommen Aktivismus verfallen? Zehn Punkte für den Theologen.

 

Das Seufzen der ganzen Schöpfung, wie es in Römer 8 beschrieben wird, ist laut Wright auch ein Seufzen Gottes, der mitleidet und sich auf die Stufen der leidenden Menschen stellt. Das Kapitel mit Wrights Gedanken zu Römer 8 ist wirklich der Hammer! Fünf weitere Punkte für den Theologen. „Unsere Berufung in dieser Pandemie ist es zu beten, vielleicht sogar ohne Worte, und mitzuleiden.“ Doch beim Lamentieren und „Mitleiden“ bleibt es dann doch nicht, denn in dem Kapitel „Where do we go from here?“ hat Wright ganz praktische Vorschläge, die allerdings so neu nicht sind: Anderen helfen, wo es gebraucht wird. Dabei hat er als Beispiel Martin Luther, der mehrere Plagen miterlebt hat. Auch die „Werke der Barmherzigkeit“, wie sie in Matthäus 25 genannt werden, spielen dabei für Wright eine Rolle. Im letzten Kapitel ist Wright dann wieder Voll-Theologe: Er legt sich nicht wirklich fest! Da hätte ich mir einfach etwas mehr gewünscht. Gerade wo es um das Verhältnis von Kirche und Staat und die Beurteilung der Rolle der Kirchen in der Pandemie geht. Aber wer legt sich da schon fest? Das Buch hat vielsagend am Schluss viele weiße Seiten … (da wäre also noch Platz gewesen).

 

Insgesamt ist „God and the Pandemic“ aber ein äußerst lesenswerter Beitrag in einer Krise, die keiner von uns im Griff hat oder in ganzer Tiefe versteht.

 

 

Beurteilung:

5 von 5 Sternen

 

 

N.T. Wright

God and the Pandemic

A Christian Reflection on the Coronavirus and its aftermath

Zondervan Reflective (Import aus USA)

76 Seiten

Ca. 10,00 Euro