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Das neue Leben von Betty

Wenn Gott in die Geschichte eingreift. Gott kann das Leben eines Menschen komplett verändern. Und manchmal gestattet er uns, Teil davon zu sein.

Von Steve Volke

 

Ihr Name ist Bethelehem, aber die meisten sagen nur „Betty“ zu ihr. Sie lebt in Addis Abeba in Äthiopien. Ich traf sie das erste Mal im Oktober 2007 in einer kleinen christlichen Kirche in einer sehr armen Gegend in Addis. Unsere eigenen Zwillinge Debora und Denise hatten mir den Auftrag gegeben, nach einem Patenkind Ausschau zu halten, das wie sie zehn Jahre alt ist. Eine Mitarbeiterin der Gemeinde, die gemeinsam mit Compassion ein Patenschaftsprogramm hat, stellte mir Betty und ihre Mutter vor. Einige Jahre später haben wir gemeinsam mit unseren Kindern Betty und ihre Mutter in Addis besucht.

 

Familienzuwachs der besonderen Art

 

Damals lebte Betty mit ihrer Mutter in einer Ein-Raum-Wohnung von 6 Quadratmetern. Ihre Mutter erzählte uns, dass alle Verwandten gestorben seien. Wenn ihre Nachbarn oder Bekannten fragen würden, ob sie denn keine Familie mehr hätten, würde sie immer sagen: „Doch, wir haben eine Familie. Aber die lebt nicht hier. Sie lebt in Europa, in Deutschland.“ Und dann zeigte sie auf uns und sagte: „Ihr seid unsere Familie!“

 

Und die Mutter hatte noch mehr zu erzählen:

Bettty sollte eigentlich nicht geboren werden. Die Ärzte sagten, das Risiko für mich und für sie sei zu groß. Aber ich hatte die Gewissheit, dass sie ein ganz besonderes Mädchen sein würde und dass Gott möchte, dass sie lebt. Und so habe ich mich gegen den Rat der Ärzte entschieden und Gott ein Versprechen gegeben: Wenn Betty überlebt und gesund ist, dann soll sie eine besondere Frau werden. Und jetzt, wo sie ein Teenager ist, habe ich die Überzeugung, dass Gott es wahr machen wird.“

 

Mit wenig viel bewirken

 

Betty konnte durch die regelmäßige finanzielle und emotionale Begleitung durch uns die Schule besuchen und wurde durch die christliche Gemeinde in ihren Begabungen gefördert. Bettys Mutter hatte die Schule nur bis zur achten Klasse besuchen können und hatte keinen Beruf erlernt. Auf die Frage meiner Frau bei unserem Besuch, welchen Herzenswunsch sie habe, sagte sie spontan: „Ich möchte eine Abendschule besuchen und zwei Schuljahre nachholen. Und ich möchte nähen lernen!“

 

Durch ein finanzielles Familiengeschenk hat meine Frau Bettys Mutter ermöglicht, eine Ausbildung zur Näherin zu machen und wieder zur Schule zu gehen. Als ich Betty ein Jahr später wieder besuchte, hatte sich etwas geändert: Durch das kleine Einkommen der Mutter mit Sticken und Nähen konnten sie in eine größere Ein-Raum-Wohnung von 10 Quadratmetern umziehen. Stolz hat sie mir später einmal ihre Stickereien gezeigt.

 

Vor gut vier Jahren hatten meine Frau und ich die große Freude, Betty und ihre Mutter noch einmal während einer Reise zu treffen. Und sie brachten ihren Pastor mit. Die Geschichte, die sie zu erzählen hatten, war so unglaublich schön, dass ich sie dir nicht vorenthalten möchte:

 

Betty, damals 18 Jahre, erzählte uns, dass sie bald die Schule beenden wird und dann studieren möchte. Finanziert u.a. durch das Gehalt ihrer Mutter. Meine erstaunte Frage, wie das denn gehen soll, beantwortete die Mutter mit dem Hinweis, sie habe jetzt eine feste Anstellung bei der Stadtverwaltung von Addis Abeba und nähe Kleidung für Waisenkinder. Durch das Einkommen wäre es möglich geworden, dass sie noch einmal umziehen konnten und jetzt in einer Wohnung mit zwei Zimmern wohnen. Betty wollte „Soziale Arbeit“ studieren und leitete in ihrer Kirche mehrere Teenagergruppen.

 

Wenn Gott die Regie übernimmt

 

Doch die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Letzte Woche erhielten wir eine Reihe Fotos, die uns sprachlos machen: Betty hat es geschafft! Sie hat ihren Abschluss an der Uni gemacht, hat jetzt einen Bachelor in Sozialer Arbeit und wird bei einer NGO arbeiten. „Ich will das zurückgeben, was ich bekommen habe!“

 

Es ist möglich, Menschen aus Armut zu befreien. Auf eine sehr persönliche Art, die aber direkten Einfluss auf viele hat. Als CEO von Compassion Deutschland ist es mein Ziel, viele dieser Geschichten zu ermöglichen. Nicht immer verlaufen sie so wie bei Betty. Für uns als Familie und für mich persönlich ist es ein besonderes Erlebnis, diese Fotos anzusehen. Zeigen sie doch, dass Gott den Weg von Bethelehem seit ihrer Geburt begleitet, sie nie aus dem Blick verloren hat – und die Bitte und das Versprechen ihrer Mutter sehr ernst genommen hat.

 

Nachtrag:

Nachdem dieser Artikel veröffentlich wurde, kam ein Statement von Elizabeth Hassen aus Addis Abeba, die 2007 die Projektleiterin war. Und ihre Geschichte macht meine Geschichte erst richtig rund:

 

Ich bin sprachlos, ich preise Gott dafür, dass er mir erlaubt, Zeugnis abzulegen von der Arbeit im Leben von Kindern wie Betty.

 

Lass mich meine Version von Bettys Geschichte hinzufügen. Es war ein „göttlicher Moment“, als du Betty bei uns im Projekt getroffen hast, denn sie war zu der Zeit gar kein Kind unseres Kinderzentrums.

 

Wir hatten unser Bestes versucht, um sie jedes Mal registrieren zu lassen, wenn wir nur eine kleine Quote von Compassion zugeteilt bekamen, da die Quote sehr klein war und die Not groß ist (wenn wir 30 Kinder registrieren dürfen, würden 300+ bedürftige Kinder auftauchen), deshalb warfen wir das Los unter den vielen bedürftigen Kindern.

 

Leider gehörte Betty kein Mal zu den glücklichen Kindern, die das Los erhielten, so dass wir sie nicht aufnehmen konnten. Außerdem erreichte sie das Höchstalter von 9 Jahren, so dass sie keine Chance hatte, registriert zu werden.

 

Ich erinnere mich noch wie gestern, als du mich darum batest, ein neunjähriges Mädchen zu finden, und als du uns das Foto eurer neunjährigen Zwillinge zeigtest und sagtest, dass sie eine Patenschaft für ein Mädchen in ihrem Alter übernehmen wollten. Ich konnte meinen Ohren nicht trauen, "ein neunjähriges Mädchen?!?!"

 

Ich überlegte sofort, wen ich zu Bettys Wohnung schicken sollte, um sie abzuholen, und betete, dass sie auch dort sein würde.

 

Wie ich sagte, es war für mich ein „göttlicher Moment“. Ich fand sofort jemanden, den ich zu Bettys Wohnung schicken konnte, und sie war dort.

 

Betty hatte also das Glück, an diesem Tag euch als Paten zu bekommen. Dies ist eine der großen Geschichten, die mein Herz erwärmt und mir die Kraft gibt, bei Compassion zu dienen.

 

"Ein Mädchen, das keinen Zugang bekommen konnte, weil sie bereits 9 Jahre alt war (das Höchstalter für die Registrierung erreicht hatte), bekam Paten, weil sie ein Mädchen war und 9 Jahre alt, ist das nicht erstaunlich?

 

Gott ist am Werk, es ist ein wahrer Segen, in seinem Reich zu arbeiten.